Selbstführung?


15. Oktober 2025

Ina Deicke

„Führung beginnt mit Selbstführung.“ Der Satz wirkt wie eine abgedroschene Phrase. Doch gesunde und positive Selbstführung ist eine Quelle für Erfolg – persönlich und beruflich.

Ich habe Respekt für die Arbeit und die Verantwortung von Führungskräften. Egal in welcher Position in der Hierarchie, sie sind immer irgendwie dazwischen. Zwischen unterschiedlichen Anforderungen, Erwartungen, Bedarfen, Bedürfnissen, Grenzen. Und unter Druck.

Das zeigt sich oft an der Sprechweise, der Anspannung, an Selbstauskünften zwischen Rastlosigkeit, Getriebensein, reaktiver Impulsivität und der Grundüberzeugung, dass das irgendwie „zum Job“ gehöre. Es machen doch alle so, oder?

Selbstführung – Warum ist das wichtig?

Die Führungsforschung hat sich lange Zeit auf die Ergebnisse von Führung konzentriert. Im Zentrum stand die Frage: Was soll erreicht werden? Das Was wurde später durch die Sicht auf die Prozesse, das Wie, ergänzt. Spätestens seit Peter Senges Buch „Die fünfte Disziplin“ hat sich die Betrachtung weiter ausdifferenziert: Den Akteuren selbst kommt ebenso Bedeutung zu. Und bei den Akteuren geht es vor allem um die innere Haltung, oder, um mit Otto Scharmer zu sprechen: Um den inneren Ort, von dem aus wir handeln.

Weil Führungskräfte großen Einfluss nehmen auf das Befinden, die Motivation, Leistung, das Miteinander und die Lebenszufriedenheit sehr vieler Menschen, scheint mir es notwendig über Selbstführung und damit über die innere Haltung zu sprechen. Das nützt zuerst Führungskräften selbst, darüber hinaus den Menschen im sozialen Umfeld und dem größeren Ganzen, denn Organisationen wirken in die Gesellschaft.

Wie gelingt Selbstführung?

Selbstführung beschreibt die Kompetenz, sich selbst kontinuierlich zu betrachten, die eigenen Motive, Werte, Muster, Handlungen und Wirkungen zu thematisieren und zu reflektieren.

Eine Methode für gelingende Selbstführung ist die Reflexion. Reflexion kann verschiedene Qualitäten haben. Reflexion beginnt mit Innehalten und Selbstzuwendung.

Der Reflexionsprozess sollte diese vier Felder umfassen:

  • Emotionale Selbstführung
  • Lenken der persönlichen Entwicklung
  • Lebensführung
  • Umfeldgestaltung

Emotionale Selbstführung

Bei emotionaler Selbstführung geht es v.a. um Bewusstheit für die eigene Impulssteuerung und damit um die Frage: Wie gelingt es, in emotional aufgeladenen Situationen die Übersicht zu behalten und konstruktiv zu bleiben?

„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

(Viktor Frankl zugeschrieben)

Wer diesen Moment-Raum zwischen Reiz und Reaktion nutzen, seine innere Haltung wählen und sich bewusst entscheiden will, braucht Achtsamkeit und Selbstkenntnis. Es geht darum, diesen Moment dehnen zu lernen, sich zu fragen: Was will ich erreichen?

Wenn es gelingt den Impuls zu steuern, statt sich vom Impuls steuern zu lassen, entfalten sich größere innere Freiheitsgrade.

Zu emotionaler Selbstführung zähle ich auch die Kompetenz, eigener Gefühle und Emotionen gewahr zu werden, sie zu verstehen und zu regulieren. Das ist eine Grundlage zum Entwickeln emotionaler Kompetenz, die auch das Erkennen und Interpretieren von Emotionen anderer Menschen umfasst.

Die persönliche Entwicklung lenken

Hier ist ein Exkurs in Sachen Wahrnehmungspsychologie angemessen. Wer weiß, wie wir die Welt um uns wahrnehmen, welche Filter dabei aktiv sind und wie die jeweiligen Eindrücke und Informationen verarbeitet werden, kann die eigene Entwicklung gezielter lenken.

Wer kennt das nicht? Menschen, die im selben Raum das selbe Thema miteinander bearbeiten, kommen zu höchst unterschiedlichen Einschätzungen und Schlussfolgerungen.

Was wir in einer Situation für wahr nehmen, speist sich zu 5% aus den äußeren Eindrücken und zu 95% aus unseren inneren Zuständen. Diese Innenwelt wird durch Erfahrungen, Erwartungen, Gefühle, (bewertende) Gedanken, Empfindungen, Prägungen erzeugt. Sie wirken wie Filter unserer Wahrnehmung. So erschaffen wir uns subjektive, innere Bilder einer Situation oder der Welt. Diese inneren Bilder wirken wieder auf den aktuellen inneren Zustand ein. Das geht sehr schnell und so aktiviert bewerten wir eine Situation.

Wir neigen dazu, unsere eigenen inneren Bilder zu bestätigen. So filtern wir fortwährend das äußere Geschehen. Das passiert automatisch und unbewusst. Wir blenden aus, was unser eigenes Bild stört oder gefährden könnte. Wir suchen statt dessen nach Übereinstimmung. So entsteht eine verzerrte und subjektiv gefärbte Wahrnehmung. Bis wir diesen Autopilot-Modus bewusst temporär ausschalten und uns für andere Perspektiven öffnen.

Was bedeutet das in Bezug auf Führung?

Wenn das Verhalten einer Führungskraft stärker von innen als von außen geleitet wird, welchen Stellenwert gewinnen die individuellen Fähigkeiten zur Impulskontrolle und zur Stressregulation?

Wie Auswirkungen haben die inneren Zustände und Bilder auf das jeweilige Kommunikationsverhalten einer Führungskraft?

Ein weiteres Themenfeld mit Bezug zur persönlichen Entwicklung ist das Erkunden des inneren Ortes, denn neben den Prägungen, Erfahrungen und Erwartungen sind hier auch die persönlichen Stärken, Motive, Werte, Bedürfnisse zuhause. Der innere Ort ist also gleichsam eine Quelle für das Entwickeln eines authentischen Selbst, unserer Persönlichkeit und inneren Haltungen. Gleichzeitig wirkt dieser innere Ort verletzlich. Es braucht also eine gute Kenntnis der Grenzen und Methoden zu deren Schutz.

Lebensführung

Im Feld der Lebensführung geht es um alles, was Vitalität erhält und stärkt. Das kann sehr Grundlegendes sein: Ernährung, Schlafqualität, Pausen- und Regenerationszeiten, Tagesstruktur, Selbstdisziplin.

Zentrale Fragen sind: Was gibt mir Energie? Was schenkt mir Freude? Wie schaffe ich Ausgleich zur Arbeit? Woraus schöpfe ich Sinn? Wie pflege ich soziale Beziehungen? Wieviel Kontakt und wieviel Rückzug brauche ich?

Umfeldgestaltung

In diesem Feld geht es um mehr Bewusstsein in Bezug auf förderliche Bedingungen.

Reflexionsfragen könnten lauten: Welches Arbeitsumfeld brauche ich als Führungskraft, um zu performen? Welchen Bedingungen fördern Konzentration? Welche Formate fördern Austausch und produktive Teamarbeit? Wie fördere ich andere? Welche Prozesse unterstützen uns darin, unsere Ziele zu erreichen? Wie trage ich zu Engagement, Motivation und Arbeitszufriedenheit bei?

Selbstführung unterscheidet sich von Selbstmanagement.

Selbstführung hilft die blinden Flecken von Führung zu erhellen. Darüber hinaus versetzt eine kontinuierliche reflexive Praxis Führungskräfte besser in die Lage, auf die Verschiedenartigkeit von Menschen konstruktiv zu reagieren, auszugleichen und positiv Einfluss zu nehmen.